4. Oktober 2019

Zwanzig Jahre – Und noch immer kein Ende in Sicht!


„Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei.“
George Orwell

Es war ein kalter, nasser Februartag; auf meinem Schreibtisch - jenem Schreibtisch, den ich zu meinem zehnten Geburtstag bekommen hatte – herrschte das gewöhnliche Chaos, zumindest auf den ersten Blick. Längst lagen dort keine Schulmaterialien mehr, die Zeit lag nun schon zwei Jahre hinter mir, sondern Schreibversuche verschiedener Geschichten und Gedichte. Dazwischen Bücher und Zeitschriften über die deutsche Geschichte und das bevorstehende Millenium.
Selbst jetzt, mehr als zwanzig Jahre später kann ich mich noch sehr gut daran erinnern, denn dieser eine Moment sollte ein folgenschwerer für meine Zukunft werden.

Ich kehrte von einem Besuch bei meinem Omchen nach Hause, anstatt wütend zu sein, wie es meistens der Fall war in jener Zeit, wurden meine Gedanken von dem Wunsch geprägt, es ihr endlich zu beweisen, dass ich kein guter Dichter bin. Und ich wusste auch bereits wie ich dies anstellen konnte.
Was war passiert?
Wie so oft in jenen Jahren, sprachen wir über mein Schreibkünste und welche Zeitverschwendung diese sei; aber diesmal beschwerte sie sich zusätzlich über meine Themen und meinte, ich sollte einmal etwas positives schreiben, wie zum Beispiel über die Natur und ihre Schönheit. Meine Gedichte seien ja gut, aber für ihren Geschmack viel zu sehr von negativen Gefühlen und Ereignissen geprägt.
Nun, ich wollte es ihr beweisen, dass ich sowas nicht schreiben, nicht dichten konnte. Und genau mit diesem Wunsch beseelt, kehrte ich nach Zuhause zurück und setzte mich an meinen Schreibtisch.
Ich schob einige Papierseiten und Bücher zur Seite, dabei fiel mein Blick auf den Anfang eines Gedichtes, welches ich irgendwann einmal schreiben wollte. Kurzerhand entschloss ich mich dazu, es jetzt einfach umzuschreiben. Ich zog das Blatt hervor, legte es auf das schwarze Buch mit der Jahrhundertstory von Schleswig-Holstein und begann zu schreiben. Bewusst nutzte ich jene Sprache, die mir aus dem Radio entgegen kam. Es sollte nicht nach hochtrabender, altmodischer Dichtkunst klingen, sondern eher nach einem modernen Schlager.
Und ich puzzelte insgesamt drei Strophen zusammen. Beim ersten durchlesen, hätte ich beinahe das Kotzen bekommen, so schlecht las sich das, was ich da zu Papier gebracht hatte. Also genau DAS, was ich brauchte, auch wenn ich es liebend gerne in die Tonne geschmissen hätte.
Teil 1 war erledigt. Ich hatte ein dreistrophiges Gedicht, welches in meinen Augen so grottenschlecht war, dass es eindeutig bewies, dass ich kein guter Dichter war und niemals sein würde. Doch nun musste ich Teil 2 auf den Weg bringen. Ein schlechtes Gedicht, bewies noch gar nichts, außer ich konnte beweisen, dass es absolut nicht marktauglich war.
Wenige Wochern zuvor hatte mir Omchen eine Flyer für ein Gedichtwettbewerb mitgebracht. Und genau dort würde ich diese geschriebene Krankheit nun einreichen. Gesagt und fast getan, wäre da nicht das kleine Problem mit der Länge. Das Gedicht war zu lang, ich musste mindestens eine Strophe entfernen.
Also schmiss ich die zweite Strophe einfach raus, und schrieb nur die erste und dritte auf den beigefügten Bogen. Ich füllte das Dokument auf der Vorderseite aus und schickte das ganze ab, natürlich nicht ohne meiner Familie davon zu erzählen. Sie alle sollten Zeugen meines Beweises werden!
Nun dauerte es einige Monate, bis ich wieder etwas von ihnen hörte. Sie fragten nach, ob ich mit der von ihnen abgetippten Version zufrieden bin, was ich bejahte. Und erneut musste ich warten. Und warten!
Und dann, im Oktober 1999 passierte es. Wir alle machten uns Gedanken über die Hochzeit meines Großcousins in Polen, planten die Reisen dorthin, als ich Post erhielt. Noch im Flur öffnete ich das Schreiben, wohlahnend, dass ich nun endlich meinen Beweis in den Händen hielt, und erlitt eine schwere Niederlage!
Nicht nur, dass sie mein Gedicht tatsächlich veröffentlichen würden, sondern sie lobten meinen ungewöhnlichen Stil und die starke Aussagekraft, die ich so erzeugte. Ich hatte es endlich geschafft und zu meinem entsetzen nicht mit einer Geschichte und dem Bastei-Verlag, sonder mit einem Gedicht und dem Realis-Verlag.
Ich reichte den Brief an meine Mutter und meine Schwester weiter und war sofort von einem freudigen Gekreische umgeben. Alle freuten sich, beglückwunschten mich. Es tat gut, im Mittelpunkt zu stehen, nur so richtig genießen konnte ich es nicht. In meinen Augen war es alle, nur halt kein Erfolg. Und ich hasste das Gedicht, empfand es als eines der schlechtesten, das ich jemals geschrieben hatte.
Wenige Wochen später konnte ich das Buch in den Händen halten und es war ein unglaubliches Gefühl, meinen Namen abgedruckt zu sehen. So langsam arrangierte ich mich nun auch mit dem Gedicht. Da nun keine Zeilenbegrenzung mehr herschte, fügte ich zwei Zeilen aus der zweiten Strophe wieder hinzu.
Das darauf folgende Jahr gelang es mir nicht, diesen Erfolg noch einmal zu widerholen. Mein Gedicht wurde als eigenwillig abgelehnt, jedoch im Jahr 2001 gelang es mir noch einmal ein Gedicht dort unterzubringen, und erneut handelte es von der Schleswig-Holsteinischen Natur.
Der Wunsch meines Omchens schien mir den Weg zu weisen.
Doch die eintretende Schreibblockade machte mir das Leben schwer; dazu zog ich von Zuhause aus, wanderte von Job zu Job, verlor mich immer weiter in Depressionen. Ein letztes Hoch kam mit dem Umzug nach Hamburg-Wilhelmsburg. Endlich konnte ich einige Geschichten in Magazinen unterbringen. Okay, sie waren nicht sehr anspruchsvoll, halt pure Pornografie, aber sie brachten Geld ein. Und ich genoss es, bis mir das ewige weiderholen so sehr auf den Sack gingt, dass ich das Schreiben von pornografischen Texten wieder einstellte.
Und was mir damals noch gar nicht klar war, in diesen gut 24 Monaten haben mehr als 30 Millionen Deutsche meine Geschichten mit nach Hause genommen. Nun, ob sie die dort dann gelesen haben, weiß ich natürlich nicht, aber viel von ihnen werden dies mit Sicherheit getan haben.
Mein Wunsch hatte sich erfüllt, wenn auch anders als gedacht. Fünf Jahre lebte ich das Leben meiner Träume und war tatsächlich zu blind, dieses zu erkennen.

Euer
Christian Bass

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