24. September 2019

Die Reise zum Mittelpunkt des Seins


In der Verlagsbranche sprechen sie gerne einmal von totem Kapital oder unverkäuflicher Materie, sobald das Thema Gedichte fällt. Ich weiß nicht, wie viele solcher Gespräche ich in den letzten Jahren geführt habe, aber sie endeten alle immer mit dem Ratschlag, doch bitte etwas Anständiges zu schreiben, etwas Anständiges wie einen Roman.
Nun, natürlich habe ich auch anständige Literatur geschrieben, nur um zu hören, dass die guten alten Zeiten der Kurzgeschichte vorbei sei und die heutigen Leser nichts lesen wollen, was kürzer als ein Roman ist. Also ich hab da durchaus andere Erfahrungen gemacht, also können wir dieses Nonsense hier und jetzt beiseite lassen.

Jedoch nicht ohne festzustellen, dass da durchaus ein Funke Wahrheit an ihren Aussagen ist. Tatsächlich hat es den Eindruck, dass die Zeitepoche der deutschen Dichter und Denker vorbei ist, auch wenn ich mich weigere dies zu glauben. Wenn wir zum Beispiel einen Blick auf die Modewelt werfen, werden wir erkennen, wie verschiedene Trends immer wieder auftauchen. Und in der Musik ist es nicht anders. Neue Trends kommen und gehen und dazwischen tauchen immer wieder die alt-ehrwürdigen Sounds auf. Und was sowohl in der Modewelt und der Musikindustrie passiert, wird auch vor dem Buchmarkt nicht halt machen.
Stephen King und viele andere mehr oder weniger berühmte Autoren beweisen uns noch heute, dass Kurzgeschichten immer noch ein wichtiger Teil unserer Lesegewohnheiten, egal ob in Magazinen oder zusammengepackt in Anthologien. Und dank des neuen, digitalen Zeitalters, verursacht eine solche kurze Geschichte auch keine großen Kosten mehr.
Und was bei Kurzgeschichten funktioniert, wird auch bei Gedichten klappen. Am Ende braucht es nur einen einzigen Funken, um einen neuen Flächenbrand zu entfachen.
Immer wieder habe ich in meinem Leben gelernt, insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten, seit ich mich traditionel veröffentlichter Autor nennen darf, dass alles seine Zeit hat und wirklich nichts und niemand seinem Schicksal voraus greifen kann.
Vielleicht hat der Buchmarkt recht und bei Poesie handelt es sich um totes Kapital, aber heißt dies dann auch, dass für alle Zeiten so bleiben wird?
Ich habe keine faktische Antwort auf diese Frage, was mich aber nicht davon abhält, auch weiterhin mit den Feuersteinen zu klimpern. Vielleicht entsteht ja dabei genau dieser eine Funken, der den neuen Flächenbrand entfacht und die Dichter und Denker zurück an die Oberfläche des Bewusstseins der modernen Gesellschaft führt. Die Hoffnung stirbt stets zuletzt, und solange ich lebe, werde ich diese Hoffnung in mir tragen.
Meine Karriere began mit Gedichten. Erst ein paar Jahre nach den ersten Gedichten begann ich damit Geschichten zu Papier zu bringen. Ich gestehe, Geschichten schreiben stand damals nicht auf meiner Bucketliste. Ich träumte davon, einmal ein großer, weltberühmter Komponist und Musiker zu werden. Nach einigen Jahren hatte ich die Eingebung, ich brauche Texte zu meinen Melodien und der zehnjährige Junge von einst, keinen Kontakt zu Textern hatte, musste er diese eben selber schreiben.
Im Laufe der Zeit, ließ ich das Komponieren bleiben und konzentrierte mich voll und ganz auf die Texte und dabei entdeckte ich den Geschichtenerzähler in mir. Langsam aber sicher verwandelte ich mich in einen seriösen Autor vor Kurzgeschichten, wobei ich nie wirklich aufhörte Gedichte und Songtexte zu schreiben. Doch immer weniger gefiel es mir, so etwas zu schreiben, schließlich schrieb kein ernstzunehmender Gegenwartsautor mehr Gedichte.
Es dauerte nicht lange, bis ich diese negative Einstellung wieder begrub und baute mir meine ganz eigene Art die Leser mit Kurzgeschichten und Gedichten zu unterhalten. Mittlerweile weiß ich – und liebe ich – Poesie, für dass was sie wirklich ist und noch immer für viele Menschen bedeutet. Gedichte mögen meistens keine leichte Unterhaltung bieten, viel eher begleiten sie ihre Leser auf eine Reise zum Mittelpunkt ihres Seins, reflektieren dabei die innersten Gefühle.
Mit nur wenigen Worten greifen Gedichte auf die tiefsten unserer Gefühle zu, und selbst wenn nur einen kurzen Augenblick unseres Alltags beleuchten, so steckt doch auch immer ein tiefes Gefühl darin verpackt. Und genau das macht ein gutes Gedicht aus, es berührt unser Herz. Mehr als jedes andere Genre, lebt die Poesie von den Gefühlen des Schreibers, sowie auch des Lesers und nur wenn beide Seiten sich tatsächlich vereinen, kann sie ihre volle Macht entfalten und uns auf eine Reise in die Tiefen der Kreativität, dem Mittelpunkt unseres Herzes schicken.
In den letzten drei Jahrzehnten habe ich bestimmt tausende Gedichte und Songtexte geschrieben, in den verschiedensten Sprachen und bis zum heutigen Tag habe ich mehrere Gedichtbände veröffentlicht. Mein Lieb,wie tief erfüllst du mich? machte 2012 den Anfang, gefolgt von Das Fenster zur Welt und Schleswig-Holstein, Gedichte meiner Kindheit.
Wenn ich mir die Verkaufszahlen dieser Gedichtbände vor Augen halte, und sie mit den Kurzgeschichten vergleiche, dann macht es scheinbar keinen Sinn, noch einen weiteren auf den Markt zu bringen. Doch ich weiß, dass vielen Menschen meine Gedichte gefallen, zumindest jene, die ich immer mal wieder gratis veröffentliche. Das Interesse ist also da, nur es legt sich noch nicht in den Verkaufszahlen nieder.
Einige Dichterkollegen verfluchen jene Menschen, die ihre Werke gratis im Internet anbieten, glauben fest daran, dass dadurch ein solches Überangebot entstanden ist, dass sich bei Gedichten einfach keine Käufer mehr finden lassen.
Ich gebe ihnen nur bedingt recht, denn de facto herrscht ein riesiges Angebot aus gratis Gedichten im WorldWideWeb, da wird jeder recht schnell und einfach fündig und dennoch hoffe und vertraue ich darauf, dass es trotzdem noch immer Leser gibt, die den wahren Wert von Gedichten und uns Dichter anerkennen und durchaus hin und wieder einmal in einen Gedichtband investieren.
Aber auch wir Poeten müssen akzeptieren, dass sich die Gesellschaft verändert hat, dass die alt-ehrwürdigen Zeiten nun einfach vorbei sind. Aber ich bin mir sicher, wir können unseren Platz in der modernen Welt finden, wenn auch wir uns langsam ins digitale Zeitalter begeben und nicht mehr länger der Zeitepocher der Dichter und Denker nachtrauern. Wir alle müssen begreifen, dass sowohl Rap wie auch HipHop auf Poesie basiert. Und fast jede Stadt und Gemeinde veranstaltet mittlerweile wenigstens einen PoetrySlam im Jahr. Alleine dieser Tatbestand zeigt doch sehr deutlich, dass es immer noch ein Intresse an Dichtern gibt. Wie müssen uns der neuen Zeitepoche einfach nur anpassen.
Gerade in harten Zeiten wie diesen brauchen die Menschen eine schnelle Reise zum Mittelpunkt des Seins, einen flüchtigen Urlaub aus ihrer von Sorgen bestimmten Gegenwart und wir Poeten können ihnen genau eine solche kurze Pause bescherren. Unsere Zeit wird kommen und wir werden wieder auferstehen!

Euer
Christian Bass

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